Vor 11 Jahren erblicke ich, Susi, das Licht der Welt. Zugegeben, es ist eine kleine Welt, nur ungefähr acht Quadratmeter groß. In den ersten Wochen fühle ich mich zusammen mit meiner Mama, mit meinem Geschwisterchen und mit Papa Moritz geborgen, doch als ich größer werde und die Welt da draußen entdecken will, werde ich oft nachdenklich. Wie gerne würde ich den Vögeln hinterherjagen. Wie gerne würde ich die Mäuse, die abends oft an unserem Gefängnis vorbeihuschten, jagen. All das ist für uns vier unerreichbar.
Auch Moritz blickt oft sehnsüchtig in die Welt da draußen, denn er kennt all das von früher. In seinen ersten drei Lebensjahren erbeutete er unzählige Mäuse, Schmetterlinge und Vögel. Nächtelang durchstreifte er die Vorgärten in der Nachbarschaft, überstand Kämpfe mit den anderen Katern in seinem Revier und erkundete die Welt. Wie gerne hätte ich das auch erlebt. Ich kann nur zuhören, wenn Moritz in seinen Erinnerungen schwelgt.
Mit der Zeit werden wir vier älter. Mama stirbt und meine Schwester stirbt wenig später auch. Bleiben nur noch Moritz und ich, Susi.
„Unsere“ Menschen sorgen für uns, indem sie uns füttern und unser Katzenklo sauber machen. Moritz lässt sich auch ab und an über den Kopf streicheln. Ich nicht. Denn ihr Menschen seid schuld an meinem Unglück. Ihr habt meinem Moritz den Stolz der Freiheit genommen. Ihr seid schuld, dass ich Freiheit nie erleben durfte. Fauchend ziehe ich ab in die hinterste Ecke des Zwingers. Solltet ihr nach mir greifen lernt ihr meine Krallen und Zähne kennen.
Es kommt der Tag, an dem uns unsere Menschen einfangen und in einen noch kleineren Käfig sperren. Jeden für sich alleine. Moritz wehrt sich nicht. Ich fauche und schlage mit meiner Pfote! Doch es hilft nichts. Sie packen uns in ein fahrendes Irgendwas, von dem Moritz immer gewarnt hat.
Dann wird es still. Die Fahrt ist beendet. „Unsere“ Menschen übergeben uns anderen Menschen. Die setzen uns in ein neues Gefängnis. Dort gibt es viele Decken, Futter steht da auch schon. Für uns?
Es riecht anders als zu Hause, in unserem Zwinger. Moritz steht unter Schock. Er blickt ängstlich aus seinen großen, trüben Kateraugen, mit denen er schon lange nicht mehr recht sehen kann. Starr und reglos setzt er sich auf die höchste Ebene eines Regals. Moritz, ich bin bei dir und wenn es sein muss kratze ich diesen neuen Menschen für dich die Augen aus. Unser letzter Wunsch nach Freiheit ist endgültig gestorben. Nichts hat sich geändert.
Lieber Moritz, liebe Susi,
alles wird sich für euch ändern. In ein paar Wochen, wenn ihr wisst, wo ihr euer Futter und euren sicheren Schlafplatz findet, dürft ihr raus aus eurem Gefängnis. Euch gehört dann die Freiheit mit unzähligen Mäusen und Streifzügen durchs Gras. Euer Gefängnis soll dann eure Höhle- eure Zuflucht werden.
Eure neuen Menschen